

Einführung & erste Eindrücke
Fisterra ist nicht einfach nur ein Ort. Es ist eine Ahnung, eine Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft, eine unsichtbare Linie zwischen Erde und Himmel. Die Römer nannten es Finis Terrae, das Ende der Welt – und wer hier ankommt, kann diesen Namen spüren. Der Wind treibt den salzigen Atem des Atlantiks durch die engen Gassen, wo erschöpfte Pilger auf wettergegerbte Fischer treffen, die ihr Leben lang mit den Launen des Ozeans gekämpft haben. Das Meer, unendlich und tief, schlägt mit harter Hand gegen die Felsen, als wollte es fragen: „Und? Was hast du hier verloren?“

Wer nach Fisterra kommt, hat bereits die Wege von Santiago hinter sich gelassen, ist weitergegangen, weil etwas noch nicht ganz abgeschlossen war. Der Leuchtturm, der letzte Vorposten der Zivilisation vor dem offenen Ozean, wacht über die Ankommenden, als wolle er ihnen leise zuflüstern: „Hier kannst du loslassen.“ Und viele tun es. Manche steigen auf die Klippen, starren stundenlang aufs Meer hinaus, als würde es ihnen eine Antwort geben. Andere lassen ein Stück von sich zurück – ein Kleidungsstück, einen Gedanken, einen unausgesprochenen Abschied. Früher verbrannten Pilger hier ihre Kleider, um das Alte hinter sich zu lassen. Heute ist das Feuer verboten, aber die Idee bleibt bestehen.

Doch Fisterra ist nicht nur ein Ort der Mythen. Es ist auch ein quirliges, windumtostes Hafenstädtchen, in dem sich erschöpfte Pilger mit bärtigen Fischern die Bars teilen. Wer sich in die engen Gassen wagt, findet Herbergen, in denen die Betten so durchgelegen sind, dass man die Geschichten früherer Pilger im Holz riechen kann, und kleine Hotels, deren Fenster direkt aufs Meer hinausblicken. Unten am Hafen, wo der Wind die Stimmen trägt, servieren die Restaurants frisch gefangenen Fisch – Seehecht, Langusten, Pulpo –, dazu ein Glas Albariño, das so schmeckt, als hätte es die Meeresbrise in sich aufgesogen. In den kleinen Läden gibt es Muscheln mit Gravuren, Amulette mit Atlantikwasser und Steine, die angeblich Glück bringen sollen, wenn man sie auf den langen Rückweg mitnimmt.

Doch Fisterra wäre nicht Fisterra ohne seine Geschichte. Hier, wo sich Pilger und Seefahrer schon immer die Hände reichten, wo heidnische Kultstätten neben alten Kirchen stehen, wird die Vergangenheit nicht nur bewahrt, sondern weitergelebt. In der Kirche Santa María das Areas steht eine Christusstatue, von der die Einheimischen behaupten, sie würde wachsen. Der Monte do Facho, hoch über der Stadt, war einst ein Ort keltischer Rituale, und wenn man ganz still ist, könnte man fast schwören, dass man die Stimmen der alten Druiden noch immer zwischen den Steinen hört.

Doch Fisterra ist auch ein Ort der Feste. Jedes Jahr am ersten Augustwochenende feiert die Stadt das Festa do Longueirón, ein Fest zu Ehren der Schwertmuschel, die hier ebenso verehrt wird wie der Apostel in Santiago. Am gleichen Wochenende, am Samstag, erobern Piraten die Stadt – oder besser gesagt: sie tun so. Das Desembarco de las Piratas erinnert an die Plünderungen des englischen Freibeuters Harry Paye, der Fisterra im Jahr 1403 heimsuchte. Heute sind die Einwohner und die Stadt Poole, aus der Paye stammte, freundschaftlich verbunden und feiern das Ereignis mit lautem Gelächter, Verkleidungen und einem Spektakel, das sich anfühlt, als wäre die Stadt für einen Tag in eine andere Zeit katapultiert worden.

Und dann gibt es eine Verbindung, die leiser, aber umso tiefer ist: die Städtefreundschaft mit Nachi Katsuura in Japan. Beide Orte markieren das Ende eines Pilgerweges – Fisterra den des Camino de Santiago, Nachi Katsuura den des Kumano Kodo. Doch während Fisterra als das Ende der Welt gilt, ist Nachi Katsuura der Anfang – eine poetische Symmetrie, die sich auf wundersame Weise manifestiert. Zweimal im Jahr, im Juli und Dezember, passiert etwas Magisches: Während in Fisterra die Sonne im Atlantik versinkt, geht sie zur selben Sekunde in Nachi Katsuura auf. Seit 2024 wird dieses Ereignis gefeiert, mit einer Live-Übertragung, in der beide Städte in einem Splitscreen gezeigt werden – der eine Ort in goldener Abendröte, der andere im ersten Licht des Morgens. Es ist ein Moment, der sich nicht nur zwischen zwei Orten, sondern zwischen zwei Welten spannt.
Fisterra ist kein Ziel, sondern ein Übergang. Manche kommen an und merken, dass sie noch weitergehen müssen. Andere bleiben länger als geplant, sitzen am Hafen und hören dem Wind zu. Und dann gibt es die, die irgendwann die Augen schließen und denken: „Ja. Das war es. Jetzt kann ich umkehren.“

Aber kann man wirklich umkehren, nachdem man einmal am Rand der Welt gestanden hat?
Praktische Informationen für Pilger
Wer in Fisterra ankommt, findet eine Auswahl an Pilgerherbergen, sowohl städtisch als auch privat. Für diejenigen, die sich nach den langen Kilometern etwas gönnen wollen, gibt es charmante kleine Hotels mit Meerblick.
Gutes Essen ist hier keine Frage des Preises – in den Restaurants am Hafen gibt es frischen Fisch und Meeresfrüchte, am besten mit einem Glas Albariño. Wer eine der besten Tortillas der Region probieren will, sollte in eine der kleinen Bars nahe der Hafenpromenade einkehren. Für Pilger, die auf dem Rückweg noch Proviant benötigen, gibt es Supermärkte im Ortskern, sowie eine Apotheke, falls Blasen und Sonnenbrand sich als letzte Erinnerung an den Camino festsetzen.