

Ein neuer Etappentag – Einstieg & Stimmung
Die Morgendämmerung legt sich wie ein weicher Schleier über die Stadtmauern von Saint-Jean-Pied-de-Port. In den schmalen Gassen riecht es nach Holzfeuer und frischem Brot, die ersten Stimmen hallen von den Pflastersteinen wider. Vor dem Porte St-Jacques, durch das seit Jahrhunderten Pilger hinausziehen, sammeln sich Menschen mit bunten Rucksäcken und leuchtenden Augen.
Du atmest tief ein, während die Glocken noch über den Dächern nachklingen. Der erste Schritt hinaus aus der Enge der Stadt trägt dich in ein neues Kapitel: hinein in die Pyrenäen, hinein in die Geschichte unzähliger Pilger, hinaus aus dem Alltag. Noch weißt du nicht, ob du den Tag jubelnd oder erschöpft beenden wirst. Aber du weißt: Heute beginnt dein Weg.
Strecke & Höhenprofil
Distanz: 25,7 km (Napoléon) / 23,8 km (Valcarlos)
Höhenmeter: +1.365 m / –555 m (Napoléon) · +900 m / –400 m (Valcarlos)
Schwierigkeit: schwer (Napoléon) / mittel bis schwer (Valcarlos)
Die Napoléon-Route ist eine Kraftprobe. Schon früh zwingt sie dich in den Rhythmus von Atem und Schweiß, während die Valcarlos-Variante dich scheinbar sanfter führt – bis ihr letzter Aufstieg dich doch noch herausfordert. Keine Zahl, kein Höhenmeter lässt dich kalt, wenn du ihn mit müden Beinen gehst.
Varianten & kleine Abzweigungen
Die Napoléon-Route steigt gleich nach Saint-Jean steil an, führt über Honto, Orisson, weiter zur Virgen de Biakorri, vorbei an Hirtenhütten bis hinauf zum Col de Lepoeder (1.450 m). Sie schenkt weite Ausblicke und einen Himmel, der dich zugleich belohnt und prüft. Zwischen November und März ist sie gesperrt, da Nebel und Schnee aus Schönheit Gefahr machen.
Die Valcarlos-Route führt im Tal des Nive de Luzaide über Arnéguy und Valcarlos zum Ibañeta-Pass (1.057 m). Sie ist weniger ausgesetzt, begleitet vom Rauschen des Flusses, von Wäldern und Dörfern. Doch ihr Endanstieg ist lang, ein stetiger Prüfstein, der dich spüren lässt: Sicherheit bedeutet nicht Leichtigkeit.

Beschreibung des Weges – mit allen Sinnen
Der Weg verlässt Saint-Jean und schon bald stehen dir die ersten Höhen im Nacken. Auf der Straße nach Honto begleiten dich Kuhglocken und der Duft von Heu. Kleine Bauernhöfe liegen still, nur das Scharren von Stöcken auf Asphalt bricht die Stille. In Orisson begegnet dir die erste Raststation. Manche bleiben hier über Nacht, um den Aufstieg zu teilen. Andere trinken Kaffee, lassen den Blick schweifen – zurück auf Saint-Jean, das winzig im Tal liegt.
Hinter Orisson weitet sich die Landschaft. Du gehst vorbei an der Virgen de Biakorri, einer Marienstatue, die wie ein stiller Wächter auf einem Felsen thront. Kerzen, Gebete, kleine Opfergaben zeugen von der Hoffnung derer, die hier Halt suchten. Weit oben, bei Borda, begegnet dir die Welt der Hirten. Steinerne Hütten, Schafe auf grünen Kuppen, der Wind trägt das Läuten der Glocken. Hier verändert sich der Rhythmus – es gibt nur noch den Schritt, das Atmen, den Himmel.
Am Col de Lepoeder erreichst du den Höhepunkt. Spanien liegt vor dir, Nebel oder Sonne entscheiden, ob es wie ein Geheimnis oder ein Versprechen wirkt. Der Abstieg ist steil, führt dich in den Schutz dichter Wälder. Feuchtes Laub, Pilzduft und der Schatten der Bäume begleiten dich. Kurz vor Roncesvalles liegt der Rolandsbrunnen. Die Legende sagt, Roland habe hier sein Schwert ins Wasser getaucht. Ob Legende oder Wahrheit – die Quelle erzählt von Geschichte und Mythen.
Die Valcarlos-Route führt dich anders: In Arnéguy triffst du auf Grenzleben – Bars, Läden, Stimmen. Valcarlos empfängt dich mit Schatten und dem Rauschen des Flusses. Der Weg zieht dich dann langsam hinauf, bis du am Ibañeta-Pass die kleine Kapelle San Salvador erreichst. Hier hallt die Erinnerung an Roland nach, bevor der Pfad dich sanft nach Roncesvalles führt.

Zwischenorte & Besonderheiten
- Honto (5 km): erster Weiler, Wasserstelle, Bauernhöfe.
- Orisson (8 km): kleine Herberge, legendäres Pilgermahl.
- Virgen de Biakorri (9 km): Marienstatue, Pilgerheiligtum.
- Borda (11 km): Hirtenhütte, Weidewirtschaft.
- Col de Lepoeder (21 km): höchster Punkt, 1.450 m.
- Rolandsbrunnen (24 km): Quelle, Legende Roland.
- Arnéguy (8 km, Variante): Grenzort mit Bars.
- Valcarlos (14 km, Variante): Dorf, Schatten, Bars.
- Ibañeta-Pass (22 km, Variante): Kapelle San Salvador, Erinnerung an die Schlacht.
- Roncesvalles (24–26 km): Kloster, Pilgerherberge, spirituelles Zentrum.
Jeder Ort ein kleiner Baustein: Geschichte, Glaube, Alltag – in die Landschaft eingewebt.
Pack- & Einkaufstipps
Wer die Napoléon-Route wählt, muss nach Orisson auf Selbstversorgung setzen. Wasser und Proviant sind Pflicht. Auf der Valcarlos-Route findest du Bars in Arnéguy und Valcarlos, doch auch hier gilt: lieber vorbereitet sein. 1,5–2 Liter Wasser, Brot, Käse, Obst. Dazu Regenjacke, warme Schicht und Stöcke für den Abstieg.
Einkehr, Übernachtung & Versorgung
- Orisson: kleine Herberge, sehr früh zu reservieren.
- Valcarlos: Albergues, Bars, kleiner Markt.
- Roncesvalles: Klosterherberge (240 Plätze), Pilgermenü im Refektorium, mehrere Gasthäuser.
In Roncesvalles verschmelzen Erschöpfung und Freude: im Refektorium bei Wein und Suppe, in der Messe mit dem Pilgersegen. Ein Abend, der Gemeinschaft spürbar macht.

Das Besondere heute
Roncesvalles ist ein Ort, in dem sich Geschichte und Legende verweben. Im Jahr 778 fiel hier die Nachhut des Heeres Karls des Großen. Roland, sein Neffe, kämpfte bis zum Ende. Sein Hornschall, so erzählt die „Chanson de Roland“, hallte über die Berge, bis er verstummte. Am Rolandsbrunnen erinnert die Quelle an ihn – kühl, klar, geheimnisvoll.
Doch die Mythen sind nur eine Seite. Auf der anderen Seite empfängt dich das Kloster, seit Jahrhunderten Herberge für Pilger. Seine Kirche, das ewige Licht, die Stille der Mauern erzählen von Trost und Neubeginn.
Und dazwischen der Ibañeta-Pass: ein Übergang, an dem Himmel und Erde sich treffen. Die Kapelle San Salvador steht wie ein Fingerzeig, dass jeder Schritt nicht nur Weg ist, sondern auch Geschichte.
So trägt dieser Tag dich von der Anstrengung der Pyrenäen hinein in eine Kette von Legenden, Kämpfen, Glauben und Geschichten.

Reflexion am Etappenende
Wenn du am Abend im Klosterhof stehst, das letzte Licht durch die Bäume fällt und die Stimmen leiser werden, fragst du dich: „War es die Mühsal des Aufstiegs, die dich geprägt hat – oder die Geschichten, die hier seit Jahrhunderten weitergetragen werden?“
📊 Tabellarische Übersicht
Etappe | Start | Ziel | Distanz | Höhenmeter | Schwierigkeit | Zwischenorte |
1 | Saint-Jean-Pied-de-Port | Roncesvalles | 25,7 km (Napoléon) / 23,8 km (Valcarlos) | +1.365/–555 (Napoléon), +900/–400 (Valcarlos) | schwer / mittel-schwer | Honto, Orisson, Biakorri, Borda, Lepoeder, Rolandsbrunnen / Arnéguy, Valcarlos, Ibañeta |
🌌 Camino der Sterne
Saint-Jean-Pied-de-Port → Honto → Orisson → Virgen de Biakorri → Borda → Col de Lepoeder → Rolandsbrunnen → Roncesvalles
Saint-Jean-Pied-de-Port → Arnéguy → Valcarlos → Ibañeta-Pass → Roncesvalles
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