
Es gibt Momente, in denen ein Fuß vor den anderen zu setzen mehr ist als nur Bewegung. Es wird zum Statement. Zumindest rede ich mir das ein, während ich einen weiteren Kieselstein von meinem Schuh kicken muss – ein Wegbegleiter, der hartnäckiger ist als mein innerer Schweinehund. Pilgern, das ist doch mehr als Wandern, oder? Schließlich hat man es mir so erklärt, als ich damals mit der viel zu großen Wasserflasche in der Hand und dem noch größeren Fragezeichen im Kopf gestartet bin.

Der Begriff selbst, so wurde mir gesagt, stammt vom lateinischen „peregrinus“ – Fremder, Wanderer. Irgendwie sympathisch. Denn sind wir das nicht alle ein bisschen? Auf Wegen, die uns fremd sind, mit Landschaften, die wir noch nie gesehen haben, und Begegnungen, die uns nicht loslassen. Doch Pilgern ist mehr als nur die Neugier auf das Unbekannte. Es ist der Versuch, einen Grund dafür zu finden, warum die besten Erfahrungen oft die unbequemsten Schuhe brauchen.
Und natürlich hat man in Spanien gleich mehrere Definitionen für diese Art der Tortur – oder spirituellen Erleuchtung, je nachdem, wie man es sehen will. Es geht ums Reisen in fremde Länder, klar, aber auch um die Hingabe, ein Heiligtum zu erreichen. Die Kathedrale von Santiago, das ultimative Ziel, ist da nur die Spitze des Eisbergs. Die eigentliche Reise spielt sich woanders ab – in den Gesprächen mit Mitpilgern, beim Anblick eines unerwarteten Sonnenaufgangs oder in der Erkenntnis, dass man vielleicht doch nicht so gut packen kann, wie man dachte.

Doch dann ist da noch diese philosophische Komponente, die mich zuerst ein wenig skeptisch gemacht hat. Eine Reise zu sich selbst? Klingt ein bisschen abgedroschen, oder? Aber ehrlich gesagt, hat der Camino etwas von einem Spiegel. Jeden Tag wirft er einem eine neue Frage zu: Warum mache ich das überhaupt? Und meistens gibt es keine einfache Antwort. Vielleicht ist das der Punkt. Es geht nicht darum, die Frage zu lösen, sondern sie zu akzeptieren.
Ein Beispiel? Die Strecke von Carrión de los Condes nach Calzadilla de la Cueza – eine 17 Kilometer lange Lektion in Geduld und Selbstgesprächen. Kein Schatten, kaum andere Pilger, nur der Weg und ich. Ich habe versucht, mit einem Baum am Horizont zu sprechen. Er hat nicht geantwortet, was vermutlich besser war, sonst hätte ich ernsthaft über meine geistige Gesundheit nachdenken müssen. Aber dieser Baum – dieser eine Punkt in der Ferne – wurde zu einem Symbol. Für Durchhaltevermögen, für Ziele, die näher kommen, selbst wenn man kaum vorankommt.

Pilgern, so habe ich gelernt, ist nicht nur das physische Vorankommen. Es ist ein Prozess. Ein Durchlaufen von Fragen, Begegnungen und kleinen Momenten, die manchmal größer sind, als man erwartet. Es ist die Verbindung zwischen Tradition, Spiritualität und persönlicher Erfahrung. Es ist der Moment, in dem man merkt, dass man immer ein bisschen fremd ist – und dass das völlig in Ordnung ist. Denn genau darin liegt die Schönheit: Das Fremde wird zum Vertrauten, und man selbst ein wenig mehr zu dem, der man eigentlich sein möchte.
So, und jetzt du: Wo beginnt dein persönlicher Camino?
